Brand- und Explosionskatastrophe 1987

Vorwort

Im Gedenken an die Toten, die das schwere Unglück forderte, möchten wir im Namen der Freiwilligen Feuerwehren Herborn allen danken, die uns in diesen schwierigen Stunden bei unserer Arbeit unterstützt haben. Ebenso gilt unser Dank allen Organisationen, Verbänden und Privatpersonen, die uns mit Informationen und Bildmaterial geholfen haben, diese Dokumentation des Einsatzverlaufs zu erstellen.

Hans Walther
Stadtbrandinspektor
Herborn, den 20. August 1987

Oberfeuerwehrmann Thomas Gräb
Hauptfeuerwehrmann Norbert Nürnberg

Der Bericht wurde 2007 überarbeitet von Karl-Heinz Walther, Stadtbrandinspektor a.D.


Einleitung

Am Dienstag den 07.07.1987 fuhr ein Tanklastzug aus Richtung Koblenz kommend über Montabaur die Bundesstraße 255 in Richtung Herborn.

Der Tanksattelzug war mit

  • 18.014 Liter. Super-
  • 10.019 Liter. Normalbenzin
  • 6.032 Liter. Dieselkraftstoff

beladen.

Um 20:43 Uhr rollte die hoch brisante Fracht mit hoher Geschwindigkeit in den Kreuzungsbereich Herborn Hauptstraße/ Westerwaldstraße.

Vermutlich aufgrund versagender Bremsen, zu hoher Geschwindigkeit und starker Schräglage in der scharfen Rechtskurve kippte der Sattelzug in Höhe des Eiscafes und Pizzeria (Hauptstraße Nr. 111) auf die linke Seite.

Er rutschte noch ca. 20 m, bis er vor dem Haus Nr. 113 zum Stillstand kam.

Durch den Sturz  platzte der Tankbehälter auf und die gesamte Ladung ergoss sich über die Straße in das benachbarte Eiscafe, in die Kanalisation, sowie in die Straßeneinläufe für das Oberflächenwasser.

Die Leitung des Oberflächenwasser mündet nach 70 m unmittelbar unterhalb der Brücke in den Fluss Dill. Etwa 3  Minuten nach dem Unfall kam es zur Zündung des Treibstoff- Gemisches und somit zur Brand und Explosionskatastrophe.

Wie auf dem Plan und Bild zu sehen, liegt das Schadensgebiet am Ende der Westerwaldstraße, der B255, welche von Montabaur nach Marburg führt.

Es umfasst die untere Hauptstraße, sowie den alten Auweg. Wird durch den Walkmühlenweg und die Konrad- Adenauer-Straße begrenzt.

In unmittelbarer Nachbarschaft zum Gebäude Hauptstraße Nr. 108 am Walkmühlenweg, befindet sich ein Reifen- Servicebetrieb mit großem Reifenlager. Gegenüber diesem Betrieb ist ein Kaufhaus angesiedelt.

Beide Unternehmen grenzen unmittelbar an die in 70 m vom Schadensgebiet entfernt in südlicher Richtung fließende "Dill".

Auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses befindet sich eine als Parkraum ausgewiesene, ca. 1,5 ha große Freifläche, der sogenannte "Schießplatz".

Im Süden grenzt das Schadensgebiet an ein Blumenfachgeschäft, dessen dreigiebeliger Hallenbau aus Aluminium-Profilen, Glas- bzw. Trapezblech besteht und erst vor wenigen Monaten fertiggestellt wurde.

Gleichfalls im Süden, zwischen Konrad-Adenauer-Straße und Walkmühlenweg, befinden sich die Gebäude der Freiwilligen-Feuerwehr Herborn. Die Entfernung zur Einsatzstelle beträgt etwa 700 m. Im Westen der Stadt befindet sich in etwa 1,5 km Entfernung die an der B 255 gelegene, zur BAB A 45 führende Autobahn-Anschlussstelle (AS) Herborn-West.


Schadensobjekte

Die von dem Schadensfeuer betroffenen Gebäude selbst waren wie folgt genutzt, bzw. baulich ausgeführt (in Stichpunkten):

Hauptstraße Nr. 100  im Erdgeschoss als Raumausstattungsgeschäft und angebautem 1-geschossigem Ladengeschäft in der Konrad-Adenauer-Straße, die beiden Obergeschosse und das Dachgeschoss wurden als Wohnungen genutzt. Hauptgebäude in Fachwerkbauweise mit Satteldach, unterkellert; Ladengeschäft in Stahlbetonbauweise mit Flachdach, ebenfalls unterkellert.

Hauptstraße Nr. 102 durch Gaststätte ("Destille") im Erdgeschoss und  1. Obergeschoss,  2. Obergeschoss und Dachgeschoss wurden als Wohnungen genutzt. Gebäude in Fachwerkbauweise mit Satteldach; unterkellert

Hauptstraße Nr. 102a im Erdgeschoss des Hauptgebäudes Bäckerei, die beiden Obergeschosse sowie das Dachgeschoss waren als Wohnräume ausgebaut; Fachwerkbauweise mit Satteldach; unterkellert. Das zweigeschossige Nebengebäude hatte in Höhe des 1. Obergeschosses eine Verbindung mit dem Hauptgebäude, ebenerdig befand sich ein Durchgang zu einem Innenhof. Nutzung des Nebengebäudes im Erdgeschoss als Moschee, im 1. Obergeschoss als Wohnung. Gebäude in Ziegelmauerwerk errichtet; mit Satteldach. An der Rückseite waren zwei Stallungen, sowie eine Garage (Holzbauweise) angebaut.

Hauptstraße Nr. 104/106 im Erd- und 1. Obergeschoss des Hauptgebäudes durch ein Schuhgeschäft, 2. Obergeschoss und Dachgeschoss wiederum zu Wohnungen ausgebaut. Gebäude in Fachwerkbauweise, durch Einziehen von Stahlträgern in die Decke des Erdgeschosses, konnten ebenerdig nachträglich Warenauslagen mit großen Glasfronten eingerichtet werden. Das Nebengebäude ist in Mischbauweise (Fachwerk und Ziegelmauerwerk) errichtet worden. Es diente als Warenlager des Schuhgeschäftes und ist teilweise unterkellert gewesen. Haupt- und Nebengebäude mit Satteldach. An der Rückseite des Lagers befand sich ein Schuppen, teilweise zu einem Kiosk umgebaut und eingerichtet.

Hauptstraße Nr. 105a als Wohnhaus in Fachwerk-Ziegelmauerwerk-Mischbauweise. Dreigeschossiges Gebäude mit ausgebautem Dachgeschoss; Anbau ebenso als Wohnung genutzt, dreigeschossig mit leerstehendem Dachgeschoss. Gebäude unterkellert.

Hauptstraße Nr. 107 als Ladengeschäft einer Metzgerei. Im 1. und 2. Obergeschoss Wohnräume. Ausführung des Gebäudes in Mischbauweise. Satteldach mit leerstehendem Dachboden. Anbau auf der Rückseite in gleicher Bauweise, im Erdgeschoss Kühlräume, darrüberliegend gewerblich genutzte Küche. Im 2. Obergeschoss Wohnräume. Gebäude unterkellert.

Hauptstraße Nr. 107a Grundstück mit Garage, Schlachthaus mit Wohnung und sonstigen Nebenräumen; Bauausführung in Stahlbeton und Mauerwerk, zweigeschossig mit flachem Satteldach, Anbau mit Flachdach; Unterkellert.

Hauptstraße Nr. 109 Bekleidungsgeschäft im Erdgeschoss, Fitness-Center in zwei Obergeschossen und ausgebautem Dachgeschoss als Wohnung. Bauausführung in Stahlbeton-Skelettbauweise; Satteldach, auf der Rückseite Dachterrasse; Unterkellert.


Meldung und Lage

20:45 Uhr
Bei der Leitstelle im Katastrophenschutz-Zentrum in Dillenburg ging über Notruf 112 die Meldung ein:

"Umgekippter Tank- LKW in Herborn
Westerwaldstraße, bei Eisdiele und Pizzeria 'Bacco',
Tank lauft aus!"

Parallel dazu wurden drei im Stützpunkt anwesende Feuerwehrleute, darunter StBI Walther, von einem weiteren Feuerwehrmann informiert, der zufällig Augenzeuge des LKW-Unfalls war.

20:46 Uhr
Die Leitstelle in Dillenburg löste über Meldeempfänger Alarm für die Führungs- und Tagschleife der FFW Herborn aus: "Tanklastzug-Unglück in der Hauptstraße!". Der zuvor informierte Stadtbrandinspektor veranlasste daraufhin die Nachalarmierung der Führungs- und Tag-, sowie der Nachtschleife. Wenig später, gegen 20:47 Uhr, explodierte der aus dem Auflieger des Tankzuges ausgelaufene Treibstoff in einer etwa 50 - 80 m hohen Stichflamme. Daraus ergab sich die Lage wie auf nebenstehendem Bild zu erkennen.

20:47 Uhr
Das Gebäude des Eiscafes Totalzusammenbruch. Die Hauptgebäude der Häuser Nr. 102, Nr. 102a, Nr. 104/106, Nr. 113 in Vollbrand, Nr. 109 Vollbrand des Erdgeschosses und Zerstörung der oberen Stockwerke durch die Druckwelle. An den umliegenden Gebäuden ebenfalls Schäden durch die Explosions-Druckwelle (Glasbruch).

Im 1. Obergeschoss des Hauses Nr. 109 stehen 6 Menschen in den Fenstern, ebenso ist in Haus Nr. 113 einer weiteren Person der Rückweg abgeschnitten. Zahlreiche verletzte Personen laufen aus dem Gefahrenbereich, einige liegen auf der Straße.

Durch den in die Kanalisation gelaufenen Treibstoff kommt es zu mehreren Verpuffungen im Abwassernetz (Trennsystem), so dass Kanaldeckel und Sinkkästen selbst in einer Entfernung von 700 m durch die Luft geschleudert werden."

Wetterlage:
Temperatur ca. 24° C, bedeckt, trocken, schwache Luftströmung aus SSW.


Erste Einsatzphase

20:45 bis 21:26 Uhr

Um 20:48 Uhr rückte das TLF 24/50 als erstes Fahrzeug zum Einsatzort aus und meldete wegen der kurzen Entfernung zur Einsatzstelle bereits um 20:50 Uhr bei der Ankunft auf dem Kreuzungsbereich an die Einsatzleitung: "Tanklastzug liegt umgestürzt vor Eisdiele - Explosionen - Brennt Eisdiele und Destille – Geben Sie Großalarm!"

Daraufhin wurde die 8,5 km entfernte Stützpunktfeuerwehr Dillenburg und die FFW des 3 km entfernten Herborner Stadtteils Burg angefordert.

In kurzen Abständen rückten die übrigen Fahrzeuge der FFW Herborn. DLK 23-12,  TLF 16/25,  ELW 1,  LF 16, RW 2 und SW 2000, zur Einsatzstelle aus. Kräfte des DRK mit RTW, NAW und KTW, sowie zwei private Rettungsdienstunternehmen mit RTW und KTW waren ebenfalls vor Ort.

In der Erstphase des Einsatzes retteten die Besatzungen des TLF 24/50, der DLK 23-12 und des RW 2 die auf der Straße liegenden Verletzten und 6 weitere Personen, die sich im 1. Obergeschoss des im Erdgeschoss brennenden Gebäudes Nr. 109 befinden. Im selben Augenblick, in dem die DLK vor diesem Gebäude in Stellung ging, sprangen die Personen aus den Fenstern. Herbeieilende Feuerwehrleute versuchten, diese Personen aufzufangen und übergaben sie anschließend an die Rettungsdienste. Die oberen Stockwerke wurden abgesucht, jedoch keine weiteren Personen mehr gefunden.

Die Besatzung des in den Walkmühlenweg eingefahrenen TLF 16/25 rettete über eine Steckleiter eine 87-jährige Frau aus dem Gebäude Nr. 113 auf das Dach des angrenzenden Kaufhauses. Nach dem Eintreffen der DLK aus Dillenburg wurde sie mit Hilfe des Korbes auf Straßenniveau gefahren. Ane-kennung verdient hierbei die Tatsache, dass während dieser Rettungsmaßnahmen die Einsatzkräfte durch Passanten unterstützt wurden.

Durch die freien Kräfte (LF 16, sowie SW 2000) wurde begonnen, die Löschwasserversorgung an der Dill, oberhalb des Kaufhauses, einzurichten. Zum anderen wurde ein ÜH (Überflusshydrant) in der Schlossstraße, sowie ein ÜH vor Haus Nr. 105 genutzt. Vom alten Au weg her kamen so 2 B- und 4 C-Rohre zum Einsatz. Auf der Straßenkreuzung wurden neben dem Monitor des TLF 24/50, 2 B- und 3 C-Rohre eingesetzt.

Die gegen 21:13 Uhr eintreffende FFW Dillenburg übernahm von der Dill-Brücke her mit ihren Fahrzeugen KdoF, ELW 1, TLF 16/25, DLK 23-12, LF 16, GTLF 6, RW 1 und SW 1000 den Angriff auf die brennenden Gebäude bzw. auf das umgestürzte Tankfahrzeug. Anfänglich wurde hierbei versucht, den brennenden Sattelzug mit Schaum abzudecken. Dies schlug jedoch fehl, da durch die große Wärmeentwicklung und durch die Vertrümmerung der Straße keine geschlossene Schaumdecke aufgebracht werden konnte, um die Flammen zu ersticken. Weiterhin nahmen die Dillenburger Kräfte zur Brandbekämpfung und zur Abschirmung des Kaufhauses, sowie des Hauses Nr. 108 einen Monitor, 1 Wenderohr (über DLK), 2 B-Rohre und 4 C-Rohre vor. Außerdem setzten sie zum Eigenschutz mehrere Atemschutzgeräte ein. Unterstützt wurden sie bei ihrem Einsatz durch die FFW Sinn- Edingen, die mit den Fahrzeugen MTW und LF 8 1 B-Roh: und 3 C-Rohre vornahm.

In dieser Zeitspanne verteilte sich der brennende Treibstoff in das Abwassernetz. Und auf den Fluß Dill in einer Ausdehnung von etwa 370 m.

Durch die Flammen wurde der Uferbewuchs (Bäume, ca. 45 bis 50 m hoch) und zwei PKW in Brand gesetzt. Aufgrund der Strömung des Flusses wurde der Treibstoff nicht über die gesamte Wasseroberfläche verteilt, sodass für die angrenzenden Gebäude (Altenwohnanlage) eine geringere Gefahr bestand, als es optisch den Anschein erweckte. In Anbetracht der von unverbranntem Treibstoff ausgehenden Explosionsgefahr und der Notwendigkeit, zum Ablöschen eine große Anzahl von Einsatzkräften abzustellen, entschied die Einsatzleitung, den Treibstoff auf dem Fluss kontrolliert abbrennen zu lassen.

Die um 21:10 Uhr alarmierten, nach und nach eintreffenden Stadtteilfeuerwehren Herborns bauten ihre Löschangriffe wie folgt auf: FFW Guntersdorf und Hirschberg stationierten im Parkdeck des Kaufhauses an der Dill je eine TS 8/8 und nahmen mit der FFW Amdorf (TSF) bzw. FFW Merkenbach (MTW) vom alten Auweg her 6 C- und 3 B-Rohre vor, um das Schlachthaus bzw. das Kaufhaus abzuschirmen. Die FFW Uckersdorf übernahm gegen 21:25 Uhr insgesamt 3 B-Rohre von der FFW Herborn im Kreuzungsbereich Westerwaldstraße/Hauptstraße. Im Walkmühlenweg ging die FFW Herborn-Seel-bach zur Unterstützung des TLF 16/25 (Herborn) in Stellung und setzte 4 C- sowie 1 B-Rohr ein. Zur Abschirmung des Blumenfachgeschäftes bauten die FFW  Merkenbach (TSF) und die FFW Hörbach (TSF) einen Löschangriff auf. Dabei wurden sie ab 21:45 Uhr durch die Wehren Burg, Sinn sowie Sinn- Fleisbach unterstützt. Insgesamt waren hier 16 C- und 5 B-Rohre, sowie von der DL 18 (FFW Sinn) aus ein Wenderohr, vorgenommen worden. Wegen der starken Verqualmung wurden an dieser Stelle von der FFW Sinn 4 Atemschutzgeräte eingesetzt.

Ein weiterer Gefahrenpunkt bestand in einer Tankstelle, die sich in der Konrad-Adenauer-Straße, ca. 550 m vom Schadensgebiet entfernt befindet. Durch die Verpuffungen im Kanalnetz war dieser Betrieb stark gefährdet. Um einen Brandausbruch zu verhindern, standen dort auch bis gegen 21:45 Uhr die FFW  Burg, und Sinn-Fleisbach in Bereitschaft. Durch die drohende Explosionsgefahr wurde die Tankstelle abgeschaltet. Daher war es für die Feuerwehren nicht mehr möglich, ihre Fahrzeuge zu betanken.

Aus diesem Grund wurden vom benachbarten Bundeswehrstandort Herborn-Seelbach mehrere LKW mit Betriebstoff angefordert.

In Bezug auf die Versorgung der geretteten Personen, funktionierte der in einem regelrechten Pendelverkehr eingerichtete Transport ins 350 m entfernte Friedrich-Zimmer-Krankenhaus reibungslos. In der dortigen Aufnahme wurde über die weitere Verlegung der Patienten entschieden. So wurden die Schwerstverletzten mit Hubschraubern zur Klinik in Köln-Mehrheim und ins BW-Krankenhaus in Koblenz geflogen. Zu diesem Zweck erklärte sich bereits um 21:10 Uhr die Leitstelle Siegen bereit, die RTH aus Köln, Lünen und Koblenz (SAR-RTH) zu alarmieren, sowie die SAR-Leitstelle in Goch zu informieren. Diese setzte ihrerseits einen SAR-Rettungshubschrauber aus Nöwenich (Bell UH-1 D) und einen BW- Großraumhubschrauber aus Niedermendich (Sikorsky CH-53) in Marsch. Aufgabe der SAR-Hubschrauber war es auch, Ärzte und medizinisches Gerät zur Einsatzstelle zu bringen.


Zweite Einsatzphase

07.07.1987  21:27 bis 24:00 Uhr

Wegen der Größe des Schadensausmaßes wurde durch den Landrat des Lahn-Dill-Kreises um 21:27 Uhr Katastrophenalarm ausgelöst. Dies ermöglichte, dass neben den bereits im Einsatz befindlichen Hilfsdiensten weitere Sanitätskräfte aus dem Raum Gießen - Wetzlar anrückten, die dann aber größtenteils in Bereitschaft blieben. Ebenso verblieben die anrückenden Kräfte des THW-0V Dillenburg zunächst in ihrem Bereitstellungsraum, da die Brandbekämpfung noch nicht soweit fortgeschritten war, dass mit den Such-, Bergungs- und Aufräumungsarbeiten begonnen werden konnte.

Die Einsatzleitung unterrichtete um 21:30 Uhr den Abwasserverband "Mitt-lere Dill", als zuständige Körperschaft für die Abwasserentsorgung, über die in den Abwässerkanälen dem 5 km entfernten Klärwerk in Edingen zufließenden verunreinigten Löschwasser. Ebenso wurden nach dem Gewässerschutzalarmplan das Wasserwirtschaftsamt, sowie die Untere Wasserbehörde über die vermutlich hohe Umweltbelastung benachrichtigt. Die Stadtwerke Herborn hatten für die Wasserversorgung die Löschwasserreserven der städtischen Hochbehälter freigegeben und die Gasversorgung (Erdgas) des Innenstadtbereichs schon kurze Zeit nach der Explosion großräumig abgeschiebert.

Nachdem die FFW Dbg.- Manderbach um 21:39 Uhr im Schadensgebiet eingetroffen war, wurde sie im Bereich der FFW Dillenburg zur Bekämpfung des in voller Ausdehnung brennenden ehemaligen Schuhgeschäftes (Haus Nr. 104/106) eingesetzt. Gegen 21:40 Uhr wurde nun die BF Frankfurt von der Rettungsflugwacht informiert und rückte nach Herborn aus. In diesem Zeitraum traf die FFW Dbg.- Niederscheld mit MTW, LF 8 und TLF 8  vor dem Kaufhaus KaWe, sowie die FFW  Driedorf- Roth mit ihrem LF 8 vor Haus Nr. 100, zur Unterstützung der dort im Einsatz befindlichen Kräfte ein.

Da ein Großteil der FFW des oberen Lahn-Dill-Kreises in Herborn im Einsatz waren, übernahm die FFW Dbg.- Frohnhausen um 21:45 Uhr in der Stützpunktfeuerwache Dillenburg die Einsatzbereitschaft.

Gegen 21:57 Uhr wurde das 1. Todesopfer, eine 18-jährige Frau, im Trümmerbereich zwischen den Häusern Nr. 111 und Nr. 105a aufgefunden.

Wegen der akuten Explosionsgefahr in der Kanalisation durch die entstandenen Dämpfe wurden im Klärwerk Edingen gegen 22:00 Uhr alle nicht ex-geschützten Geräte abgeschaltet, sowie die Gasfackel stillgelegt und fortlaufend Messungen mit dem Explosimeter durchgeführt.

Inzwischen rückten in Herborn ein ortsansässiges privates Kranunternehmen sowie eine Herborner Baufirma mit Autokränen, Bagger, Schaufellader, LKW an. Sie wurden zunächst an der Feuerwache bereitgestellt.

Um 22,40 Uhr übernahm der Amtsleiter der BF Frankfurt, lt. Branddirektor Prof. Achilles, die Einsatzleitung vor Ort.

Im Zuge der Brandbekämpfung kam es vor allem darauf an, die sich in unmittelbarer Nähe der brennenden Gebäude befindlichen Häuser zu schützen und den Schaden auf den Entstehungsbereich zu begrenzen. So wurden mit massivem Wassereinsatz (ca. 500 m3/h) sowohl die Brandobjekte gelöscht, wie auch die Wärmestrahlung auf die angrenzenden Gebäude gemildert. Es wurden dazu 2 Einsatzschwerpunkte gebildet:

westlich

  • Haus Nr. 100 mit Abschirmung der angrenzenden Gebäude in der Konrad-Adenauer-Straße (Blumenfachgeschäft)
  • Haus Nr. 102 und 102a
  • Haus Nr. 105a, 107 und 107a
  • Haus Nr. 109 mit dem eingestürzten Eisdielengebäude (Hauptschadensstelle)

östlich

  • Haus Nr. 104/106 mit Nebengebäuden und Schutz der gegenüberliegenden Bebauung (5 m breiter Zwischenraum)
  • Haus Nr. 113 direkt an ein Kaufhaus angrenzend.

Als Unterstützung der heimischen Feuerwehren setzte die gegen 23:00 Uhr eintreffende BF Frankfurt 2 GTLF und mehrere Sonderfahrzeuge ein. Dabei wurden die Sonderfahrzeuge, die Einsatzleitung  und Betreuungsstellen auf einem Parkplatz etwa 250 m vom Schadensgebiet entfernt, eingerichtet. Die Fahrzeuge GTLF 10 und 24 nahmen an der Brandbekämpfung im Bereich der Gebäude Nr. 100/102 teil, wo zunächst versucht wurde, den Dachstuhlbrand im Raumausstattungsgeschäft abzulöschen.

29 Verletzte waren zu dieser Zeit zu registrieren, laut Aussage der Polizei galten noch 30 - 50 Personen als vermisst, wobei davon ausgegangen wurde, vermutlich nur noch wenige von ihnen lebend retten zu können.

Kurz vor Mitternacht zeigten die Brandbekämpfungsmaßnahmen soweit Erfolg, dass ein Übergreifen der Flammen auf angrenzende Objekte nicht mehr zu befürchten war.

Im Bereich der Ortschaften Sinn und Edingen suchte die um 23:10 Uhr verständigte FFW Ehringshausen den Flusslauf nach Treibstoffverunreinigungen ab und errichtete Ölsperren. Ab 23:30 Uhr erreichten stündlich ca. 500 m3 mit Treibstoff verunreinigtes Abwasser das Klärwerk in Edingen. Zur Messung der Konzentration der Treibstoffdämpfe wurden vom THW-OV Solms gegen 23:40 Uhr 2 Gasspürtrupps nach Edingen entsandt.


2. Einsatztag

Einsatzablauf am 08.07.1987

Um 0.17 Uhr waren die Brände im Umfeld des eingestürzten Gebäudes soweit eingedämmt, dass mit den Such- und Bergungsarbeiten begonnen werden konnte, wobei im gegenüberliegenden Bereich immer wieder neu aufflammende Brände abgelöscht werden mussten.

Zunächst wurden zwei bereitstehende Autokräne eines Privatunternehmens dazu eingesetzt, den verunglückten LKW auf einen Sattelauflieger zu heben und aus dem Schadensgebiet abzutransportieren.

Durch die zahlreich anwesenden Helfer mehrerer THW-Ortsverbände wurde vorsichtig begonnen, die Trümmer abzutragen. Kleinere Teile wurden von Hand, größere mittels Autokran und zwei Radladern der BF Frankfurt und eines Privatunternehmens auf LKW geladen. Diese fuhren den Schutt zu einer ca. 8 km entfernten Mülldeponie. Bei den Arbeiten am Trümmerkegel kamen von Seiten des THW, außer der bereits zur Ausleuchtung der Einsatzstelle tätigen E-Gruppe des 1. Instandsetzungszuges (Solms) mit dem Beleuchtungsanhänger und 2 Gasspürtrupps des 2. Bergungszuges Solms, der 1. Bergungszug (Dillenburg) zum Einsatz. Der 1. Fernmeldezug (Dillenburg) baute währenddessen die Fernsprechleitungen zwischen dem um 21:45 Uhr in die Konrad-Adenauer-Straße verlegten ELW 3 und der Feuerwache Herborn aus. Von Seiten der Polizei kamen neben den Kräften der hessischen Bereitschaftspolizei, die mit ungefähr 1 Hundertschaft das Schadensgebiet weiträumig absperrte, auch Beamte des Landes-, sowie des Bundeskriminalamtes zum Einsatz.

Gegen Mitternacht wurden weiterhin die Rettungshundestaffel Wiesbaden, sowie zwischen 1:30 und 2:00 Uhr die THW-Ortungstrupps Groß-Umstadt und Darmstadt, wie auch die Rettungshundegruppe aus Pfungstadt nach Herborn in Marsch gesetzt.

Nachdem auch die Brände im hinteren Einsatzbereich des eingestürzten Hauses Nr. 111 abgelöscht waren, wurde auch von dieser Seite damit begonnen, den Trümmerschutt abzutragen. Nun konnte auch der größte Teil der benachbarten FFW bis auf wenige Ausnahmen (z.B. BF Frankfurt) aus dem Einsatz herausgelöst und nach Hause geschickt werden.

Die fortlaufend durchgeführten Messungen mit dem Explosimeter ergaben im Schadensgebiet bzw. Kanalnetz eine Konzentration der Treibstoffdämpfe von 60 Vol.%. Somit bestand gegen 3:00 Uhr noch immer Explosionsgefahr und damit eine Gefährdung der Einsatzkräfte. Die Einsatzleitung entschloss sich dazu, die Kanalisation über die Kanalöffnungen zu spülen. Hierzu wurden als Spitzenbedarf bis zu 700 m³ Wasser pro Stunde verbraucht. Nach einiger Zeit zeigten die eingeleiteten Maßnahmen Wirkung. Die Konzentrationen gingen zurück, stiegen jedoch sofort wieder, wenn die Spülung nachließ. Durch den Wassereinsatz gelangten nunmehr große Abwassermengen zum Klärwerk in Edingen. Als Unterstützung der im Klärwerk anwesenden Einsatzkräfte, trafen gegen 3:49 Uhr 5 Kräfte der FFW Herborn mit dem GW-Öl, sowie das LF 16 mit dem Öl- Sanimat ein. Wegen der örtlichen Gegebenheiten und wegen seiner im Verhältnis zur ankommenden Wassermenge geringen Durchflussrate, war allerdings der Einsatz des -Sanimats nicht möglich.

Die in den frühen Morgenstunden eingesetzten Rettungshundegruppen, wie auch die THW-Ortungstrupps ergaben keine Hinweise auf noch unter den Trümmern liegende lebende Personen.

Um 5:42 Uhr rückte die Ablösung der BF Frankfurt nach Herborn aus und traf dort gegen 6:45 Uhr ein. Als Ablösung der FFW Herborn wurden für die Zeit von 7:30 bis 13:00 Uhr die FFW Dbg.- Donsbach, Haiger, Eschenburg- Hirzenhain und Wissenbach eingesetzt.

An der Einsatzstelle wurden die Such-, Bergungs- und Aufräumungsarbeiten weiter fortgesetzt. Es konnte damit begonnen werden, die Geschossdecken mit einem Kran abzutragen. Dazu war es erforderlich, weiter Geröll von Hand abzutragen und mit Brennschneidgeräten Baustahlgewebe durchzutrennen. Da eventuell noch lebende Personen unter den Trümmern vermutet wurden, mussten diese Arbeiten mit äußerster Vorsicht vonstatten gehen. Zusätzlich musste mit Einsturzgefahr gerechnet werden, da die Festigkeit des Gebäudes Nr. 109 nicht bekannt war. Parallel zu den Arbeiten mussten immer wieder kleinere Brände in den umliegenden Häusern, z.T. unter Atemschutz vorgehend, abgelöscht werden. Da die Helfer des THW-0V Dillenburg seit der Nachtstunden im Einsatz waren, wurde gegen 10,00 Uhr der 1. BZ vom 2. BZ abgelöst.

Über die Mittagsstunden reduzierte sich die Zahl der vermissten Personen ständig, da sie sich, bei Verwandten oder Bekannten angekommen, nach und nach bei der Polizei meldeten.


3. Einsatztag

Einsatzablauf am 09.07.1987

Der Katastrophenalarm wurde um 13:00 Uhr durch den Landrat des Lahn-Dill-Kreises aufgehoben. Einige Zeit später, um 3:42 Uhr, wurde in den Trümmern des Hauses Nr. 111 die zweite weibliche Person tot geborgen.

Gegen 19:22 Uhr näherten sich die Aufräumungsarbeiten dem Ende, sämtliche Geschossdecken sind aus dem Geröll entfernt worden. Eine Person wurde noch vermisst, wobei jedoch nur zu 50% davon ausgegangen wurde, sie in den Trümmern zu finden.

Um 21:42 Uhr meldete sich die Person bei der Polizei. Die Suche wurde abgebrochen.

Gegen 22:00 Uhr löste der 1. BZ noch einmal für eine Stunde den 2. BZ ab und verließ dann gegen 23:00 Uhr das Schadensgebiet.

Aufgrund von Messungen, wurden im Haus Nr. 108 Treibstoffdämpfe festgestellt, deren Konzentration sich im Explosionsbereich bewegten. Daraufhin wurde nochmals die Kanalisation gespült und die Wohnräume intensiv belüftet.

Gegen 0:48 Uhr wurde die Einsatzstelle von der abrückenden BF Frankfurt der FFW Herborn übergeben.

Diese stellte das TLF 16/25, sowie eine Besatzung von 6 Feuerwehrleuten als Brandwache während der Nachtstunden ab. Wiederaufflammende Glutnester und hohe Konzentrationen der Treibstoffdämpfe im Abwassernetz, machten ihr Erscheinen im Schadensgebiet immer wieder erforderlich. Als Brandwache und zusätzlich zum Absperren der Einsatzstelle bis zum Aufstellen eines Bauzaunes, wurden die FFW der Herborner Ortsteile Burg und Seelbach bis gegen 8:00 Uhr des folgenden Tages eingesetzt. Dies war notwendig geworden, da die Kräfte der hessischen Bereitschaftspolizei am 09.07.1987 gegen 17:00 Uhr das Schadensgebiet verließen.


Ab Tag vier

Einsatzablauf am 10.07.1987 und den folgenden Tagen

Bis gegen 17:25 Uhr des 4. Einsatztages (10.07.1987) war tagsüber der Hauptstützpunkt Herborn von Feuerwehrkräften besetzt, die von Zeit zu Zeit noch kleinere Brände im Schadensgebiet ablöschten.

Am 10.07.1987 gegen 20:30 Uhr musste das TLF 16/25 der FFW Herborn erneut zu einem wieder aufflackernden Brand im Haus Nr. 104/106 ausrücken. Am darauffolgenden Abend gegen 22:47 Uhr und am 14.07.1987 gegen 14:45 Uhr rückte nochmals das TLF 16/25 zu Nachlöscharbeiten aus. Am gleichen Tag gegen 19:44 Uhr fuhren ELW 1, sowie erneut das TLF 16/25, diesmal zur Kanalspülung und Konzentrationsmessung der noch im Leitungssystem befindlichen Dämpfe von Treibstoffrest.


Personen- und Sachschäden

Todesopfer

Auf Seiten der Bevölkerung sind durch unmittelbaren Einfluss des Unglücks 2 Todesopfer zu beklagen. Sie kamen durch Feuer bzw. durch das einstürzende Gebäude Nr. 111 ums Leben. Weitere 3 Personen (2 Frauen und ein Mann) erlagen im Krankenhaus ihren schweren Brandverletzungen. Bedingt durch die Aufregung über den Unglücksfall seiner räumlichen Ausdehnung bzw. seines optischen Eindruckes wegen, starb eine 64-jährige Frau an Herzversagen.

Verletzte

38 zum Teil schwer verletzte Personen wurden in die umliegenden Krankenhäuser gebracht bzw. ambulant behandelt. Viele der Patienten wiesen Schnittverletzungen durch Glassplitter auf, die im Augenblick der Explosion durch die Luft flogen.

Verletzte Einsatzkräfte

Insgesamt verletzten sich bei diesem Einsatz 8 Feuerwehrmänner. Sie trugen Prellungen, Verstauchungen, sowie Schnittwunden und eine leichte Rauchvergiftung davon. Die meisten von ihnen konnten aber nach ambulanter Behandlung aus der Obhut des Sanitätspersonals wieder entlassen werden. Bei den Rettungsmaßnahmen verletzte sich außerdem noch ein Rettungssanitäter eines privaten Rettungsdienstes. 

Gebäudeschäden

Neben den in der Schilderung des Einsatzablaufes schon erwähnten Brandschäden an den Gebäuden des Einsatzgebietes, wurden durch die Druckwelle der Explosion zahlreiche Fensterscheiben der umliegenden Häuser zerstört. Da sich in der näheren Umgebung noch weitere Ladengeschäfte befanden, bestand dadurch die Gefahr, dass sich einige aus den Reihen der Schaulustigen an den Warenauslagen bereicherten. So war es dann auch nicht verwunderlich, dass schon relativ kurze Zeit nach der Explosion die Auslagen durch das Geschäftspersonal in Sicherheit gebracht wurden.

Auf Grund von Schätzungen beträgt allein der Gebäudeschaden bis zu 10 Mio. DM, der Gesamtschaden ebenfalls nach Schätzungen ca. 40 Mio. DM. Als Folge der ausgedehnten Zerstörungen mussten die Gebäude Nr. 100 (Hauptgebäude), 102, 102a, 104/106, 105a, 111 und 113 vollständig abgerissen werden. Dabei sei am Rande bemerkt, dass vor eini-gen Jahren das Gebäude Nr. 111 einem Brandanschlag zum Opfer fiel und danach von Grund auf neu errichtet wurde.

Als Auswirkungen der Druckwelle der Explosion entstanden, am Haus Nr. 107 Schäden durch Glasbruch und Brandspuren an der Straßenfront. Gleichfalls entstanden Glasschäden am Schlachthaus der Metzgerei (Nr. 107a); durch die Druckwelle wurden an diesem Gebäude Teile der Geschoßdecke um ca. 5 cm angehoben.

Sachschaden an geparkten Kraftfahrzeugen

Abschließend sei hier noch erwähnt, dass auf dem kleinen Hof hinter dem Gebäude Nr. 111 zwei PKW durch herabstürzende Trümmer und durch Brandeinwirkung total zerstört wurden.
Ebenso standen auf dem Schießplatz im Uferbereich nahe der Bahnstrecke Gießen-Siegen zwei weitere PKW. Sie wurden durch den brennenden Kraftstoff auf der Dill in Brand gesetzt und erlitten Totalschaden.

Auslaufender Kraftstoff setzte auch ca. 15 m vom umgestürzten Tankzug entfernt 3 parkende PKW in Brand.

Als Auswirkungen der Explosions- Druckwelle entstanden an drei Fahrzeugen auf dem Hof des Schlachthauses (Nr. 107a) Sachschäden. Ebenfalls Sachschäden entstanden an einem auf dem Innenhof der Häuser Nr. 102/102a abgestellten PKW (zerstörte Heckscheiben).

Nachbetrachtung

Das Wrack mahnt in der Ausstellung der Deutschen Arbeitsschutzausstellung (DASA) in Dortmund im Bereich Dauerausstellungen "Transportieren und Befördern". Wir danken der DASA Dortmund für das Bildmaterial.

Brandausweitung

Dem Umstand, dass sich die Explosion ca. 3 - 4 Min. nach dem Umstürzen des Tankzuges ereignete, ist es zu verdanken, dass sich dadurch viele Menschen aus dem Eiscafe und den umliegenden Häusern in Sicherheit bringen konnten. Glücklicherweise war an diesem Abend das Restaurant im 1. Obergeschoß ge-schlossen. Bedingt durch die engen Treppenaufgänge an der Vorder und Rückseite des Gebäudes wäre sicherlich niemand ins Freie gekommen.

In diesen Minuten jedoch konnte sich der auslaufende Treibstoff verteilen. Nach Zeugenaussagen sollen große Mengen in das Eiscafe geströmt sein, zündfähige Gemische bildeten sich im Erdgeschoß und den Kellerräumen. Dadurch ist auch die Tatsache zu erklären, dass es zu dem Totalzusammenbruch des Gebäudes kam. Zu erkennen gewesen war dies auch am Haus Nr. 113, in dessen Keller die Treibstoffdämpfe durchzündeten und die Kellerdecke bzw. den Fußboden des Erdgeschosses in einem Raum zur Hälfte einstürzen ließen.

Durch die Druckwelle der Explosion wurden die Fensterfronten des Schuhgeschäftes eingedrückt, so dass sich der brennende Treibstoff in die Verkaufsräume ergießen konnte. Zur Ausweitung des Brandes trug auch die überwie-gende Verwendung des Baustoffes Holz bei (Baujahr einiger Gebäude ca. 1920). Die Holzbalkendecken boten so dem Feuer keinen ausreichenden Widerstand, sich in den oberen Geschossen auszubreiten.

Als Gefahrenpunkte bei der Brandbekämpfung galten dabei ein 3.000 l fassender Heizöltank im Anbau des Hauses Nr. 107 und der mit PCB gekühlte Transformator im Keller des angrenzenden Kaufhauses. Durch umsichtiges Vortragen des Löschangriffes gelang es, die Temperaturen in diesen Kellerräumen weit unter den Grenzwerten für PCB zu halten (Siedep. 330 - 390° C). Ebenso konnte ein Übergreifen der Flammen von Haus Nr. 104/106 auf Haus Nr. 108 verhindert werden; die beiden Gebäude trennte eine Straße von nur 5 m Breite. Durch eine erfolgreiche Abschirmung konnte sich der Brand auch nicht auf das benachbarte Blumenfachgeschäft ausweiten. Dagegen gelang es nicht, die im Dachstuhl des Hauses Nr. 100 weiter um sich greifenden Flammen zu ersticken. Auf Grund eines mit Hohlräumen durchzogenen Dachausbaus, war es weder von Innen noch von Außen möglich, das Feuer zu bekämpfen. Der Dachstuhl brannte nahezu vollständig aus; durch den großen Wasserschaden musste das Haupt-gebäude abgerissen werden.

In Anbetracht der geringen Entfernungen zu den dem Schadens gebiet benachbarten Gebäuden kann davon ausgegangen werden, dass bei größerer Windstärke ein Übergreifen der Flammen nicht hätte verhindert werden können. Dies trifft vor allen Dingen für die unmittelbar an der Dill gelegene Altenwohnanlage zu, die durch den brennenden Treibstoff auf dem Fluss gefährdet wurde. Diese Situation führte dann zu einer großen psychischen Belastung der Bewohner dieser Anlage, so dass einige von ihnen Kreislaufzusammenbrüche erlitten.

Löschwasserversorgung

In der Anfangsphase der Brandbekämpfung konnte dem Leitungsnetz (NW im Schadensgebiet 100 - 150 mm) genügend Löschwasser ent-nommen werden. Als jedoch nach ca. 45 Min. die auswärtigen Feuer-wehren ihren Löschangriff aufbauten, fiel der Leitungsdruck immer mehr ab.

In dieser Beziehung war die geringe Entfernung zur Dill hilfreich, eine ausreichende Löschwasserversorgung ohne lange Förderleitungen zu installieren.

Gegen 23:30 Uhr betrug der stündliche Wassereinsatz 500 m3. In den frühen Morgenstunden (gegen 5:00 Uhr) stieg er sogar auf bis zu 700 m3 an, da nun vermehrt Kanalspülungen zur Senkung der Treibstoffkonzentration vorgenommen wurden.

Führungsprobleme

Schon in der Anfangsphase des Einsatzes wurde versucht, eine arbeitsfähige TEL zu bilden. Doch durch Unüberschaubarkeit und die Ausmaße des Unglücks war es zunächst nicht möglich, die TEL schulmäßig, d.h. wie in der Ausbildung und bei Katastrophenschutz-Übungen verfahren wird, einzurichten. Ebenso fehlte durch den massiven Einsatz im Schadensgebiet, das für den Aufbau einer Einsatzleitung notwendige Personal in ausreichender Anzahl. Die FFW Herborn konnte während des Erstein-satzes keine Kräfte für diese Aufgaben freistellen. Darüber hinaus benötigt auf der anderen Seite ortsfremdes Leitungspersonal einen gewis-sen Zeitraum, sich in die örtlichen Gegebenheiten einzuarbeiten. Später wurden in dem Schadensgebiet zwei Abschnitte gebildet. Diese waren einmal das total zusammengestürzte Gebäude Nr. 111 mit den dort fortschreitenden Such-, Bergungs- und Aufräumungsarbeiten. Abschnittführungsstelle war der Einsatzleit-Anhänger der BF Frankfurt. Den anderen Einsatzabschnitt stellten die umliegenden Schadensobjekte dar. Hier wurde der Einsatz vom ELW 3 der FFW Herborn aus koordiniert. Die übergeordnete TEL befand sich in der Feuerwache Herborn. Als unzweckmäßig erwies sich im Nachhinein die Maßnahme, den THW-0V Dillenburg bereits 13 Minuten nach der Explosion zu alarmieren. Bei Eintreffen der THW-Einsatzkräfte waren die Löscharbeiten noch in vollem Gang. Erst gegen 1:00 Uhr war das Feuer soweit unter Kontrolle, dass mit dem Abtragen der Trümmer von Haus Nr. 111 und der Suche nach den Vermissten begonnen werden konnte. Es hätte also in vollem Maße ausgereicht, das THW zwei Stunden später zu alarmieren. Obwohl der Einsatz der BF Frankfurt zum Zeitpunkt ihres Eintreffens (GTLF 24 – 23:00 Uhr, GTLF 10 – 23:01 Uhr) nicht mehr erforderlich war, bot er doch die Möglichkeit, den Einsatzkräften der FFW Herborn von 7,30 bis 13:00 Uhr eine Erholungspause zu gewähren. Die BF unterstützte die schon vor Ort anwesenden Kräfte bei der Vermisstensuche bzw. Trümmerbeseitigung und half bei der Betreuung und Verpflegung der Einsatzkräfte durch ihre ebenfalls in Marsch gesetzten Gerätschaften, wie Zelte, WL- Küche, Ambulanz und Betreuungsanhänger. Unterstrichen werden muss in diesem Zusammenhang die gute Koordination zwischen dem DRK und den privaten, z.T. ortsansässigen Rettungsunternehmen. Diese waren bereits unmittelbar nach der Explosion mit ihren 8 Fahrzeugen am Unfallort und begannen mit dem Abtransport der Verletzten. Als Konsequenz aus den Störungen des Funkbetriebes während des Er-steinsatzes sind nun im Lahn-Dill-Kreis Bestrebungen im Gange, einen weiteren Betriebskanal als regulären Funkkanal einzurichten. In der anfänglich hektischen Phase des Einsatzes kam es immer wieder vor, dass Selektivrufe der Alarmierung durch Funkgespräche gestört wurden. Ebenso kam es auch vor, dass versehentlich die Sprechtaste des Hand-apparates eingeklemmt wurde. Die Einrichtung eines weiteren Funkka-nals würde der Leitstelle die Möglichkeit geben, den zur Zeit genutzten Betriebskanal in Zukunft nur noch für die Alarmierung der Einsatzkräf-te zu verwenden. Alle Organisationen der BOS wickeln dann ihren Funkbetrieb auf dem zweiten, neu einzurichtenden Betriebskanal ab.

Parallel dazu sollte im Bereich der Sprechfunk-Ausbildung dem praktischen Funkbetrieb mehr Gewicht zuteil werden. Die ebenso gelehrten, sicherlich wichtigen Rechtsgrundlagen sind in Bezug auf die Einhaltung der Funkdisziplin gerade im Verlauf hektischer Einsätze eher also zweitrangig einzustufen.
Das gerade bei spektakulären Feuerwehreinsätzen immer wiederkehren-de Problem der Schaulustigen, wurde durch massiven Einsatz der hessischen Bereitschaftspolizei bzw. durch weiträumige Absperrmaßnahmen gut gelöst. Lediglich die manchmal unüberschaubare Anzahl der Rundfunk- und Pressejournalisten, machte bei allzu großer Aufdringlichkeit energische Zurechtweisungen seitens der Ordnungskräfte notwendig.

Beeinflussung der Umwelt

Durch die günstige Wetterlage konnten die Brandgase bzw. der Brandrauch nahezu senkrecht aufsteigen, ohne dass dadurch Belästigungen für die angrenzenden Wohngebiete auftraten. Anders verhielt es sich mit dem unverbrannten Treibstoff ,der durch die Kanalisation bzw. über die Dill dem Klärwerk Edingen zufloss.

Aufgrund der Explosionsgefahr wurden die Bewohner aufgefordert, die Häuser zu verlassen. Der Treibstoff selbst wurde im Klärwerk in Leerstehende Klärbecken geleitet  und anschließend fachgerecht entsorgt.

Die Gasversorgung für die Häuser des Schadensgebietes wurde schon kurze Zeit nach der Explosion abgeschiebert. Weiterhin bestand im gesamten Innenstadtbereich, sowie am Flusslauf der Dill in den Ortschaften Sinn und Edingen, Explosionsgefahr durch hohe Konzentrationen von Treibstoffdämpfen in   der Kanalisation.

Über HR3 und Einblendungen ins laufende Fernsehrprogramm wurden diese Warnungen an die Bevölkerung, sowie an die Autofahrer weitergegeben.

Schlussbemerkung

Ein besondere Dank gehört allen beteiligten Helfern und Hilfsorganisationen. Den Freiwilligen Feuerwehren aus allen Stadtteilen Herborns sowie den Feuerwehren der Städte Dillenburg, Haiger und Wetzlar und den Gemeinden Sinn, Driedorf, Mittenaar, Eschenburg, Ehringshausen sowie der Berufsfeuerwehr der Stadt Frankfurt am Main und dem ABC Zug des Lahn/ Dillkreises.

Während den Einsatztagen waren 536 Feuerwehrleute mit 91 Fahrzeugen 5991 Std. im Einsatz.

Übersicht sonstiger Kräfte

Rettungsdienst

  • DRK Dillreis
  • DRK Wetzlar
  • DRK Gießen
  • Rettungsdienst Pfeifer, Hörbach
  • Rettungsdienst Eschenburg
  • ASB Köln, JUH Wetzlar
  • Flugrettung Frankfurt (RTH Christoph 2) (RTH Christoph 3 Köln) (RTH Christoph 23 Lühnen) (RTH Christoph 25 Siegen)

Insgesamt waren hier 166 Helfer mit 39 Fahrzeugen und 4 Rettungshubschraubern im Einsatz.

THW

  • THW Dillenburg
  • THW Marburg
  • THW Solms
  • THW Groß-Umstadt
  • THW Darmstadt
  • THW Frankfurt

Rettungshundestaffeln

  • THW Pfungstadt (Rettungshundegruppe)
  • Berufsfeuerwehr Wiesbaden (Rettungshundestaffel)
  • FFW Kirchhain (Rettungshundegruppe)
  • Bundesverband Wesel (Rettungshundegruppe)
  • Westerwaldkreis (Rettungshundegruppe)

Vom Technischen Hilfswerk und den Rettungshundestaffeln waren 191 Helfer mit 47 Fahrzeugen sowie eine nicht bekannt Anzahl von Rettungshunden im Einsatz.

Bundeswehr

Die Bundeswehr war mit 20 Soldaten aus folgenden Einheiten vor Ort:

  • Nachschub- Bataillion 320 Herborn–Seelbach
  • SAR Leitstelle Goch 3 Hubschrauber (CH-53, UH-1D)   

Polizei 

Rund 470 Beamte der Polizei waren in Herborn eingesetzt:

  • Schutzpolizei
  • Bereitscahftspolizei Hessen
  • Hessisches Landeskriminalamt
  • Bundeskriminalamt

Privatfirmen

Bei Firmen in der Umgebung wurden spezielle Fahrzeuge angefordert die bei der Bergung des Unfall LKW und beim Abtransport der großen Mengen an Schutt eingesetzt wurden. Insgesamt waren neun Mitarbeiter diesen Firmen im Einsatz

Ein Besonderer dank gebührt daher folgenden Firmen:

  • Daum Herborn (4 Kräne 30- 120 t / Sattelauflieger 25 t)
  • Jakob& Weigel Herborn (Radlader, Bagger ,LKW) 
  • Firma Heinrich Lauber Dillenburg (Sattelauflieger 25 t), 

die sofort nach dem Geschehen mit schwerem Gerät am Feuerwehrhaus Herborn zur Verfügung standen. eben den aufgezählten Fahrzeugen wurden zum Abtransport des Brandschutts noch weitere LKW eingesetzt.

Die Notfallspur - Bau einer Notfallspur und Änderung der Auffahrt zur A45

Mit dem Bau der Notfallspur wurde 1990 begonnen. Die "Schikane" wurde aus den Erfahrungen mit den Unfällen und Beinahe Unfällen nachgerüstet. Fahrzeuge mit Bremsversagen werden zwangsläufig in die Notfallspur geleitet.

Zu einer wesentlichen Verbesserung der Sicherheit trug der Bau einer neuen Autobahnauffahrt zur A45 in Richtung Süden bei. Durch die Streckenführung können Fahrzeuge schon vor der Notfallspur "ausrollen". Dass die Notfallspur dennoch Fahrzeuge "aufhält", zeigen die Aufnahmen weiter oben.